Da es sich bei Versicherungsverträgen in aller Regel um vertragliche Beziehungen von langer Dauer handelt, taucht regelmäßig das Problem auf, wie Sachverhalte rechtlich zu bewältigen sind, wenn sie sich vor der Reform des Versicherungsvertragsgesetzes im Jahr 2008 ereignet haben, die Folgen aber erst nach der Gesetzesänderung eintreten. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hatte sich in seinem Urteil vom 16.02.2012. (Aktenzeichen: 7 U 72/11) mit einer solchen Fragestellung zu befassen:
Zu Grunde lag ein vor dem 01.01.2008 abgeschlossener Versicherungsvertrag, in dessen Verlauf der Versicherungsfall nach dem 31.12.2008 eingetreten ist. Die gesetzlichen Regelungen sehen vor, dass auch auf alte Versicherungsverträge – also solche, die vor der Gesetzesreform abgeschlossen worden waren – das neue Versicherungsvertragsgesetz anzuwenden ist, wenn der Versicherungsfall nach dem 31.12.2008 eingetreten ist.
Im konkreten Falle lag ein Versicherungsvertrag zu Grunde, bei welchem der Versicherungsnehmer im Rahmen der Beantragung des Versicherungsschutzes unter anderem Gesundheitsfragen zu beantworten hatte. Nach Eintritt des Versicherungsfalles machte der Versicherer geltend, der Versicherungsnehmer habe bei der Beantragung des Versicherungsvertrags Erkrankungen nicht angegeben. Der Versicherer teilte deshalb dem Versicherungsnehmer schriftlich pauschal mit, dass er im Hinblick darauf „von dem Recht der Vertragsanpassung“ Gebrauch mache.
Letztlich bestätigte das Oberlandesgericht Frankfurt in seiner Entscheidung, dass die Frage, ob eine vorvertragliche Anzeigepflichtverletzung vorliegt, sich auch weiterhin nach altem Recht beurteile, weil der Versicherer vor der Änderung des Versicherungsvertragsgesetzes die nach neuem Recht geltenden Anforderungen wie insbesondere den nach § 19 Abs. 5 S. 1 VVG geforderten Hinweis auf die Folgen einer Anzeigepflichtverletzung bei Abschluss des Versicherungsvertrags unter Geltung des alten Rechts noch nicht habe beachten können.
Die Frage, welche Folgen sich ergeben, wenn danach eine Anzeigepflichtverletzung vorliegt, richten sich anschließend nach neuer Rechtslage (so genanntes Spaltungsmodell).
Im konkreten Falle machte der Versicherer geltend, dass er in Kenntnis der verschiedenen Erkrankungen den begehrten Versicherungsschutz zwar gewährt hätte – allerdings auf der Vereinbarung von zwei Ausschlussklauseln (wegen Rückenbeschwerden und Atemwegserkrankungen) bestanden hätte.
Das Oberlandesgericht bestätigte die Entscheidung der Vorinstanz, nach der der Versicherungsvertrag gleichwohl unverändert fortbestehe. Zwar könne der Versicherer – wenn er mangels Hinweises auf die Folgen einer Anzeigepflichtverletzung schon nicht vom Vertrag zurücktreten könne – nach neuem Recht gemäß § 19 Abs. 4 Satz 2 VVG verlangen, dass eine nachträgliche Vertragsanpassung vorgenommen wird. Allerdings muss der Versicherer von diesem Recht gemäß § 21 Abs. 1 Versicherungsvertragsgesetz innerhalb eines Monats nach Kenntnis von dem Verschweigen der Erkrankungen Gebrauch machen. Dies habe der Versicherer im konkreten Falle nicht getan. Soweit er pauschal mitteilte, von seinem Recht der Vertragsanpassung Gebrauch machen zu wollen, genügte dem Gericht diese Erklärung nicht. Das Verlangen einer Vertragsanpassung wegen Anzeigepflichtverletzung setze voraus, dass die Erklärung erkennen lasse, mit welchen bestimmten Ausschlussklauseln oder zu welcher geänderten Prämienhöhe der Vertrag fortgeführt werden soll. Diesen Anforderungen an die Konkretisierung der Vertragsänderung genüge die pauschale Erklärung des Versicherers nicht.
Im konkreten Falle führte das dazu, dass der Versicherer die begehrte Leistung im wesentlichen erbringen musste.
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