Oftmals entzündet sich der Streit über die Verweisung des Versicherungsnehmers durch die Berufsunfähigkeitsversicherung auf einen neuen Beruf und die darauf folgende Leistungseinstellung an der Frage, ob der Versicherungsnehmer sich auf seine neue Tätigkeit verweisen lassen muss, obwohl er diese erst nach dem Erwerb neuer beruflicher Fähigkeiten ausüben konnte. Zu den Voraussetzungen der Verweisung und Leistungseinstellung in diesem Falle hat das OLG Karlsruhe sich in der jüngeren Vergangenheit unter anderem geäußert (Urteil vom 06.12.2012 – Aktenzeichen: 12 U 93/12):
Der Versicherungsnehmer wurde in seinem bisherigen Beruf als selbstständiger Gas- und Wasserinstallateur-Meister als Ein-Mann-Betrieb berufsunfähig, so dass die Berufsunfähigkeitsversicherung die bedingungsgemäßen Leistungen erbrachte. Der Versicherungsnehmer absolvierte erfolgreich eine Umschulung und war nach Abschluss der Umschulung als medizinisch technischer Laborassistent angestellt tätig – allerdings mit einem auf etwa 4 Jahre befristeten Vertrag und keiner Festanstellung. Die Berufsunfähigkeitsversicherung entschied sich aus diesem Grunde gleichwohl, sich auf die Verweisung zu berufen und nahm die Leistungseinstellung vor. Dies akzeptierte der Versicherungsnehmer nicht und zog vor Gericht.
Während es in dem Rechtstreit vorwiegend um die Frage ging, ob es sich bei den Tätigkeiten vor und nach Eintritt der Berufsunfähigkeit um Vergleichstätigkeiten handelte, setzte das Oberlandesgericht Karlsruhe daneben auch einen besonderen Akzent auf die Frage, wann Verweisung und Leistungseinstellung nach Erwerb neuer beruflicher Fähigkeiten des Versicherungsnehmers zulässig sind und gab anderen Gerichten folgendes auf den Weg:
Wenn erst der freiwillige Erwerb neuer beruflicher Fähigkeiten den Versicherungsnehmer überhaupt in den Stand versetze, eine andere Tätigkeit im Sinne der Vertragsbedingungen der Berufsunfähigkeitsversicherung auszuüben, dann dürfe die Berufsunfähigkeitsversicherung von ihrem Recht zur Leistungseinstellung erst dann Gebrauch machen, wenn der Versicherungsnehmer einen Arbeitsplatz erlangt hat – also Festanstellung – oder aber sich um einen solchen nicht in zumutbarer Weise bemüht.
Einen Arbeitsplatz in diesem Sinne erlangt habe ein Versicherungsnehmer aber noch nicht, wenn es sich lediglich um ein befristetes Arbeitsverhältnis handelt. Im konkreten Falle kam erschwerend hinzu, dass der Versicherungsnehmer aufgrund seiner gesundheitlichen Vorgeschichte nicht in der Lage gewesen war, ein unbefristetes Arbeitsverhältnis einzugehen, weil er aufgrund der angesichts seiner Vorgeschichte (schwere Depression) stets zu befürchtenden kurzfristigen Ausfälle regelmäßig auf das Wohlwollen von Dritten und auch die Genehmigung von Fördermitteln angewiesen sei. Auch dieser Umstand stehe – so das Gericht – der Annahme, die Versicherung könne eine Verweisung und Leistungseinstellung wegen einer neuen beruflichen Tätigkeit vornehmen, entgegen. Auch die bloße Vermutung der Berufsunfähigkeitsversicherung, der Versicherungsnehmer könne doch im konkreten Fall einen arbeitsrechtlichen Anspruch auf Festanstellung geltend machen, reiche nicht aus. Solange ein rechtskräftiges Urteil eines Arbeitsgerichts über einen solchen Anspruch auf Festanstellung nicht vorliege und aus diesem Grunde die Ungewissheit des Versicherungsnehmers über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses andauere, bleibe der Berufsunfähigkeitsversicherung die Verweisung und Leistungseinstellung trotz des Erwerbs neuer beruflicher Fähigkeiten des Versicherungsnehmers versagt.
Wieder einmal erweist sich vor dem Hintergrund des dargestellten Urteils die Erfahrung als richtig, dass die Entscheidung der Berufsunfähigkeitsversicherung über Verweisung und Leistungseinstellung in jedem Einzelfall der Überprüfung bedarf, ob die Berufsunfähigkeitsversicherung bei ihrer Entscheidung die von der Rechtsprechung aufgestellten Maßgaben hinreichend beachtet hat oder nicht.
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